Die Roboter-Action Boiling Steel ist ein regelrechter Überraschungshit. Wir haben den VR-Shooter für PC-Headsets (Rift, Vive, Index, WMR) auf Oculus Rift im Test.
VR-Shooter im Roboter-Setting haben es seit Stormland schwer. Der Platzhirsch ist nahezu perfekt – und trotzdem schlägt sich der Newcomer Boiling Steel im Vergleich verdammt tapfer. Dank motivierendem Gameplay, frischen Ideen und einigen mutigen Design-Entscheidungen – die in der Community allerdings auch polarisieren. Schauen wir uns Boiling Steel mal im Detail an.
Besessen von Robotern
Von allen Roboter-VR-Games der letzten Zeit verkauft Boiling Steel seine Grundprämisse am originellsten. Und die geht so: Ihr steuert zwar einen Roboter, in Wahrheit seid ihr aber ein Mensch, der irgendwo in einer Raumstation im Orbit des Planeten in einer Tiefschlafkammer schlummert und per „Fernsteuerung“ von verschiedenen Robotern auf der Planetenoberfläche Besitz ergreift. Im Tutorial werdet ihr sogar explizit darauf hingewiesen, dass ihr in euren Händen die Illusion von Controllern spürt. So viel Selbstironie kommt einfach gut.
Im Tutorial erfahrt ihr außerdem, dass ihr nur von Wartungsrobotern Besitz ergreifen könnt, die leider so gar nicht für den Kampf ausgerüstet sind. Macht aber nichts, denn eure Werkzeuge lassen sich modden, so dass sie in der Funktionalität von Waffen de facto nicht zu unterscheiden sind.
Apropos Waffen: Derer tragt ihr immer zwei, eine Fern- und eine Nahwaffe. Zum Beispiel eine zur Railgun umfunktionierte Bolzenschusspistole und ein Ladegrät, das tödliche blaue Energieblitze verschießt. Oder eine Leuchtschusspistole und eine Bohrmaschine… Insgesamt neun verschiedene zu Waffen umfunktionierten Werkzeugen stecken im Spiel. Und alle lassen sich im Laufe des Spiels aufrüsten und noch effektiver machen.
Keine wirklich freie Wahl der Waffen
Der Catch ist – und das ist eine der polarisierenden Design-Entscheidungen der Entwickler: Ihr könnt vor Beginn jeder Mission eure Waffen nur semi-frei wählen. Das Spiel setzt euch eine automatisch zusammengestellte Auswahl vor. Es kann also sein, dass eure liebgewonnene hochgelevelte Waffe der ersten Stunde für die nächste Mission gar nicht dabei ist. Oder nur in Kombination mit einer Level-0-Zweitwaffe angeboten wird, auf die ihr keinen Bock habt. Für mich persönlich ein Non-issue, denn einerseits bekommt ihr im Laufe des Spiels eine immer größere Anzahl von Kombinationen vorgesetzt. Andererseits sind einige der erst später verfügbaren Waffen echt lässig und würde mich das Spiel nicht zu meinem Glück zwingen, ich Gewohnheitstier hätte sie wahrscheinlich nie ausprobiert. Im Endeffekt ist die künstlich eingeschränkte Auswahl etwas, das nur im ersten Moment irritiert.
Eigen ist Boiling Steel auch beim Handling der Waffen. Das Spiel nervt euch nicht mit begrenzter Munition oder dem Sammeln und Suchen von Munition. Gut so! Trotzdem könnt ihr nicht rumballern, als gäbe es kein Morgen. Ihr könnt jede Waffe nämlich nur eine kurze Zeitlang verwenden, dann ist sie defekt und muss weggeworfen werden. Macht aber nichts, weil ihr die Waffe sofort wieder ziehen könnt und schon ist sie wie neu. Dazu drückt ihr einfach nur den linken Grip-Button am Controller, woraufhin die beiden Waffen als Hologramme erscheinen, von denen ihr eines mit der rechten Hand zu euch zieht. Das hat man recht schnell intus, so dass man Nah- oder Fernwaffe später auch blind ziehen kann, in Sekundenbruchteilen. Diese Cooldown-Mechanik ist gar nicht mal so dumm.
Darum geht’s in Boiling Steel
Das Game schickt euch auf Missionen auf die Planetenoberfläche. Mal spielen die im Freien, mal im Inneren. Die Grafikqualität schwankt dabei zwischen gut und echt gut. Wenn man inmitten einer Eislandschaft steht, mit Blick auf einen Himmel den eine riesige tiefrote Sonne ausfüllt, dann muss man schon mal innehalten und einfach nur die Aussicht genießen. Aber auch die Innenlevels mit Raumbasen, Lava- oder Eishöhlen schauen sehr ordentlich aus.
Egal, wohin euch das Game gerade schickt: Eure Aufgabe ist de facto immer dieselbe: Erreicht den Ausgang! Auf dem Weg müsst ihr Gegner erledigen, wahlweise mit der Nah- oder Fernwaffe. Ihr müsst auf Minen aufpassen, die sich bei Annäherung dankenswerterweise über ein Piepsen bemerkbar machen und vor der folgenden Explosion noch abschießen lassen. Manchmal müsst ihr euch mit Selbstschussanlagen rumschlagen. Und gelegentlich einen Schalter umlegen, um eine Tür zu öffnen. Oder einen Schalter umlegen, um an anderer Stelle eine Schaltbox mit Strom zu versorgen, mit der sich eine Tür öffnen lässt. Die Level verlaufen aber sehr linear. Verlaufen könnt ihr euch de facto nicht und als Rätsel gehen die Tür-öffnen-Aufgaben eigentlich nicht wirklich durch. Boiling Steel ist ein Action-Spiel und diesen Aspekt setzt es gut um. Die Schusswechsel über große Entfernung, die hektischeren Nahkämpfe mit Gegnern, die euch auf die Pelle rücken – das kommt schon sehr gut. Und das Progression-System, in dessen Rahmen ihr die Waffen auflevelt beziehungsweise immer wieder neue findet, hält einfach bei Laune.
Boiling Steel hat keine Checkpoints
Was die Zwischenheadline sagt: Boiling Steel hat keine Checkpoints. Sterbt ihr, und sei es kurz vor Ende, dürft ihr die Mission nochmal von vorne starten. Das ist eine Design-Entscheidung, die polarisiert, wie man in den offiziellen Foren nachlesen kann. Was man fairerweise auch dazusagen muss: Eine typische Mission in Boiling Steel dauert keine 15 Minuten. Ein vorzeitiges Aus ist das vor diesem Hintergrund kein Beinbruch. Ihr müsst nicht viel wiederholen. Gleichzeitig macht das Wissen, dass es keine Checkpoints gibt, das Geschehen relevanter. Das Gefühl der Gefahr ist größer. Also für mich passt auch diese Designentscheidung, aber klar, sie polarisiert.
Ein Spiel mit Charakter
Boiling Steel macht eben vieles anders als vergleichbare Spiele. Und genau dadurch sticht es aus der Masse heraus. Dieses Spiel hat „Charakter“ und eine funktionierende Mechanik, die einfach Spaß macht. Das Handling der Waffen, die Steuerung – das wirkt alles sehr rund, und das ist bei einem Shooter natürlich essenziell.
Was aber auch gesagt werden muss: Dass das Game seinen Content vielleicht einen Tick zu sehr in die Länge zieht. Ich persönlich fühlte mich gute 13 Stunden perfekt unterhalten, dann begann die Faszination etwas nachzulassen. Das (übrigens unbefriedigende weil offene) Ende kam für mich nach 16 Stunden und 82 Missionen. Zu dem Zeitpunkt kannte ich etliche sich wiederholende Levels schon auswendig. Es gibt nämlich zwei Arten von Missionen: Story-Missionen, die die Handlung vorantreiben, und generische Missionen, die als „Pausenfüller“ dazwischengeschaltet sind. Das Spiel würde wahrscheinlich davon profitieren, die Story schneller voranzutreiben und den Content weniger zu strecken, aber sei’s drum.
Am Ende ist Boiling Steel ein sehr runder VR-Shooter mit Garantie für viele Stunden Spielspaß. Ihr findet Boiling Steel um schlanke 20 Euro auf Steam und im Oculus Store